Männergesundheit

„Männer sind furchtbar stark, Männer können alles, Männer kriegen ‘nen Herzinfarkt…“ singt Herbert Grönemeyer 1984. Herzinfarkte bekommen auch Frauen, aber Männer dreimal häufiger, und die Lebenserwartung von Männern ist seit Jahren konstant um fünf Jahre niedriger als die der Frauen. Von der Gesellschaft wurde das lange Zeit als gegeben hingenommen, und Männer wurden als beratungsresistente Gesundheitsmuffel charakterisiert, die sich Präventionsangeboten und gesundheitsfördernden Maßnahmen “erfolgreich” entziehen. Das beginnt sich zu ändern und das Thema Männergesundheit rückt nun stärker in den Fokus der öffentlichen Gesundheitspolitik. So werden im Rahmen einer geschlechtersensiblen Gesundheitsförderung auch männergerechte Präventionsangebote gefordert. Doch die konkrete Umsetzung ist bislang noch nicht zufriedenstellend.
Was ist zu tun? Wie kann – besonders im BGM – die Zielgruppe Männer besser erreicht werden? Wie kann die Prävention psychischer Erkrankungen bei Männern besser gelingen? Brauchen Männer spezifische auf sie zugeschnittene Gesundheitsangebote? Antworten auf diese Fragen zu geben, das versuchen der BGM-Experte Professor Volker Nürnberg, der Sportwissenschaftler Professor Ingo Froböse und ein Arbeitsmediziner der BG RCI. Wir stellen zudem Institutionen und Organisationen vor, die das Themenfeld Männergesundheit fördern und voranbringen. Und neben aller Theorie bieten wir – ganz praktisch – ein paar kleine Übungseinheiten mit Professor Ingo Froböse. Zum Mitmachen für alle, nicht nur für die Männer.

Professor Ingo Froböse: 5 Faktoren für ein gesundes Leben

„Wie fit sind die Männer in Deutschland? Wie gehen Männer im Alltag mit ihrer Gesundheit um?“ Dazu hat Professor Ingo Froböse, gestützt auf Daten und Fakten, einiges zu sagen. Und das Ergebnis klingt nicht besonders gut. Doch er wäre nicht der unermüdlich agierende und optimistische Präventionsexperte, den viele Menschen kennen und schätzen, würde er nicht gleichzeitig Wege aufzeigen, wie die Situation zu verbessern ist.

16:9

Viele Menschen kennen ihn aus den Morgenmagazinen der ARD. Dort und mit seiner Website, seinen Blogs und seinen Büchern versucht er alle, nicht nur die Männer, von einem gesundheitsförderlichen Lebensstil zu überzeugen: Professor Ingo Froböse.

PROF. INGO FROBÖSE
Leider ist alles nicht besser geworden. Ich mach ja alle zwei Jahre eine Studie, „Wie gesund lebt Deutschland?“ Wir schauen uns fünf Parameter an: Bewegung, Ernährung, Rauchen, Suchtmittel-Konsum, Stress und Schlaf. Wie ist der eigentlich?
Rauchen ist stabil schlecht geblieben, der Alkoholkonsum ist ein bisschen degressiv, aber durch Corona geht’s leider wieder nach oben.
Schlaf ist deutlich schlechter geworden in den letzten Jahren, muss man wirklich sagen. Woran liegt das? Ich glaube, dass die Menschen viele Sorgen haben, viele Ängste haben, viele Probleme haben, das bedeutet, dass dadurch die Nachtruhe leidet. Und viele Menschen machen sich durch das Homeoffice selbst häufig Probleme, weil den Arbeitsalltag ausdehnen, eben noch mal kurz vor dem Schlafengehen vielleicht ein bisschen Arbeitsprozesse absolvieren. Also die Struktur ist vielen Menschen verloren gegangen und das wirkt sich dann auch auf die Nachtruhe aus.
Ernährungsverhalten, seit vielen Jahren wirklich schlecht, muss man sagen, obgleich wir so gut aufgeklärt zu sein scheinen. Hier würde ich mir unbedingt wünschen, dass wir nicht der Industrie folgen, die uns ja immer vorgibt, was wir gerade konsumieren sollten. Und wenn wir da mal die Entwicklung erkennen, selbst der Fleischkonsum hat kaum sich reduziert. Der Zuckerkonsum geht deutlich weiter in die Höhe und insbesondere auch die Fast Food Industrie profitiert sehr, sehr stark von den aktuellen Entwicklungen. Die Kühltruhen in den Supermärkten werden immer länger. 67 Prozent der Männer sind in Deutschland übergewichtig, muss man sich mal vorstellen und nur jede zweite Frau. Das heißt, die Frauen sind gesundheitsbewusster, gehen viel besser eben doch mit sich um.

„Institut für Bewegungstherapie und Bewegungsorientierte Prävention und Rehabilitation“, so lautet die Bezeichnung des Instituts an der Deutschen Sporthochschule Köln, das Professor Froböse leitet. Und in diesem für ihn besonders wichtigen Bereich analysiert der promovierte Sportwissenschaftler bereits seit vielen Jahren Daten und Fakten. Wie sieht seine aktuelle Bilanz auf diesem Gebiet aus?

PROF. INGO FROBÖSE
Sitzen ist mittlerweile das zweite Rauchen. 10,5 Stunden sitzen Menschen und insbesondere die Zielgruppe der 20 bis 30 jährigen sitzt am meisten, weil sie natürlich sehr viel Computertätigkeit haben, aber auch in der Freizeit dann auch viel Gamen, den Computer auch nutzen, um ihre Freizeit zu gestalten. Also 85 % der Menschen bewegen sich zu wenig in Deutschland. Und wenn ich jetzt mal über alle Parameter blicke, wer erfüllt eigentlich alle fünf Parameter so, dass ich von einem präventiven positiven Effekt sprechen kann, dann sind es aktuell nur noch 9 % und da sind die Männer bei 6 % und die Frauen bei 12 %. Das heißt also, die Männer sind noch schlechter als die Frauen.
Wenn wir mal in die Zahlen hineinschauen, dann geht der deutsche Mann nicht mehr sehr weit. Ungefähr 400 bis 600 Meter. Warum? Weil natürlich alles automatisiert stattfinden kann. Man fährt mit dem Auto bis vor die Tür, fährt mit dem Fahrstuhl hoch ins Büro, setzt sich dann hin und selbst der Bürostuhl hat noch Rollen, so dass man sich auch da kaum bewegen muss. Und dann hat man noch den Lieferdienst, der einem alles nach Hause bringt und abends fährt man natürlich, schaut Sport, macht keinen, weil natürlich rund um die Uhr sportliche Aktivität im Fernsehen stattfinden kann.

Es scheint der natürliche Bewegungsdrang ist vielen Menschen abhanden gekommen. Worin liegen die Ursachen, und welche Folgen hat das besonders für den Mann?

PROF. INGO FROBÖSE
Also letztendlich ist der Mann wirklich genauso wie die Frauen erst mal evolutionstechnisch ein faules Konstrukt. Wir wollen uns nicht unbedingt bewegen. Allerdings, und das muss man wirklich sagen, haben Männer früher sehr viel körperliche Aktivität aus der Arbeit geschöpft und das war deren großer Vorteil. Das heißt also, sehr viel wurde eben körperlich gearbeitet und das ist weggebrochen. Der Mann hat 15% mehr Muskelmasse als die Frau, ist also sehr viel abhängiger auch davon, wie sich der Reiz auf den Körper auswirkt. Und wenn wir diesen Reiz nicht haben, und die Frau merkt das weitaus weniger evolutionär, als der Mann, dann entwickelt sich der Körper und auch der Stoffwechsel degressiv und das macht sich beim Mann einfach deutlicher bemerkbar.

Leistungsanspruch und Realität scheinen sich bei Männern nicht immer zu decken. Wie und mit welchen Mitteln kann dieser Widerspruch aufgelöst werden?

PROF. INGO FROBÖSE
Männer haben allerdings natürlich ein anderes Leistungsbild, immer noch sehr stark: „Wir sind die Größten, die Stärksten und die Besten!“ Und dem kann man in der Regel meistens nicht mit Walken, mit Yoga oder mit Tai Chi oder Qigong kommen, weil das eben nicht die richtige Ansprache ist. Das bedeutet also, wir müssen Männer bei dem was sie sich wünschen abholen, eben bei sehr kraftbetonten, leistungsbetonten Sportarten, auch wenn darin etwas anderes steckt: Warum kann man nicht Yoga als asiatische Kampfsportart mit dynamischen Elementen verkaufen? Und wenn wir ihnen dann noch positive Erlebnisse vermitteln und positive Erlebnisse sind, verspüren von Leistungsfähigkeit, das Wiedergewinnen von Leistungsfähigkeit, das Aufbauen von Muskulatur …was gar nicht so schwer ist. Und so würde ich einsteigen, also mit Begrifflichkeiten, die der Mann versteht, die eben nicht weiblich geprägt sind und vor allen Dingen, die immer eine gewisse Leistungsfähigkeit in den Mittelpunkt rücken. Dann geht es auch beim Mann.

Häufig wird Zeitmangel als Rechtfertigungsargument benutzt, warum man nichts oder zu wenig für seine körperliche Fitness tut.

PROF. INGO FROBÖSE
Erst mal vielleicht ein kleines Rechenbeispiel: eine Woche hat 168 Stunden. Wenn ich jeden Tag eine Stunde davon abknipse, was ja extrem viel wäre, sind immer noch 162, 161 Stunden übrig und da kann mir keiner sagen, er hätte keine Zeit dafür. Denn dann investiert man vielleicht 1% seiner Zeit in sich selbst. Und selbst wenn man nur eine halbe Stunde oder 20 Minuten macht, das reicht in der Regel sogar aus. Das heißt also, wenn ich so einsteige, mit einem Zeitfenster von 15 bis 20 Minuten, bin ich schon in der Lage, meinen gesamten Körper mit allen großen Muskelgruppen so zu trainieren, dass alle etwas davon haben. Also wir sind ja alle so gestrickt, dass wir Silvester mal darüber nachdenken: „Ich müsste mal wieder.“ Und in der Tat ist es so, dass viele den ersten Schritt nicht finden. Ich glaube, der erste Schritt ist das Wichtigste. Ich muss eine klare Vorsatzbildung machen. Das bedeutet, ich darf nicht sagen, „ich müsste mal wieder“, sondern. „ich werde morgen um 7:30 loslegen meine erste Bewegungseinheit zu tun.“ Das heißt, einen klaren Vertrag, ein klares Commitment mit sich zu stellen. Das bedeutet also erst mal eine klare Vorsatzbildung mit einer ganz eindeutigen Terminierung.
Das zweite ist, dass man sich wirklich und so sind wir Männer ja häufig gestrickt, dass wir sehr planerisch, sehr organisiert unterwegs sind. Und wenn man das tut, in dem man sagt, ich nehme mir Zeitfenster, die definiere ich exakt. Zum Beispiel jeden Morgen, oder jeden Abend oder jeden zweiten Abend, das ist ja egal. Ich finde meine Zeitfenster und diese definiere ich und da kommt auch kein Blatt Papier zwischen, auch kein Wetter, kein Anruf, kein gar nichts. Dann führe ich diese halbe Stunde durch, für mich. Auch das ist ein Commitment, was man sehr gut machen könnte. Vielleicht gibt es sogar im Nachbarbüro jemanden, dem es genauso geht. Vielleicht verabredet man sich zum Beispiel in der Mittagspause und geht dann gemeinsam, weil zu zweit macht es natürlich sehr viel Freude und das letzte ist: Setze dir Ziele, die realistisch sind. Bitte fange nicht an zu träumen von den Sportlern, die du im Fernsehen siehst, sondern bleib einfach bei dir und setze kleine Ziele. Nimm dir nicht vor, sofort vielleicht drei Kilometer zu laufen, sondern beginne doch einfach mal mit einer kleinen Bewegungseinheit, die dich einführt in das Bewegungserlebnis, das dir positive Gefühle vermittelt. Bedeutet also: fange nicht an Sport zu treiben und sei danach ermattet, ermüdet, erschlagen, falle nicht auf die Couch und sagt Boah, bin ich wieder kaputt. Nein, nach der Aktivität musst du immer das Gefühl haben, das war schön. Ich mache es deswegen morgen wieder, weil es hat mir gut getan. Also man kann zu Beginn gar nicht langsam und ruhig genug anfangen und sollte erst mal die Emotionen mitnehmen, die zeigen, dass es dir gut getan hat.

Das sind Tipps und Beispiele für individuelle Strategien, wie man sich ein bewegungsorientiertes Leben organisieren kann. Doch es braucht auch Ideen, wie man in den Unternehmen auch angebotsresistente Männer dazu bewegen kann, BGM-Angebote anzunehmen und bei den Aktivitäten mitzumachen.

PROF. INGO FROBÖSE
BGF und BGM sind ja in aller Munde und Unternehmen unternehmen ja schon ganz schön viel, wie man so schön sagt. Aber man erreicht in der Regel nur die sowieso sensiblen Menschen. Und Männer sind da sehr viel resistenter im Zugang zu den Aktivitäten des Unternehmens. Ich glaube, das wäre ein gutes Konstrukt, um Männer anzusprechen, Laufgruppen, Trainingsgruppen zu initiieren, wo letztendlich die Führungskraft, das ist nämlich ganz wichtig, Vorbild sein kann. Und das würde ich mir wünschen in vielen Unternehmen, dass es immer top down stattfindet und die Führungskraft quasi als Gruppenleiter agiert. Und das heißt für mich, lass uns doch gerade auch im BGF System insbesondere Abteilungsleiter, Führungskräfte ausbilden, fortbilden, zu jenen ja Leitern, Anleitern, Kümmerern, die dann ihre Abteilung mitnehmen. Und wenn ich dann vielleicht sogar noch mit kleinen Challenges, Wettbewerben agiere – auch das mögen Männer ja sehr gerne.
Wir haben ein wunderbares Beispiel auch vor einigen Jahren entwickelt: die Treppen-Challenge. Ein Treppenhaus ist ja die beste Trainingsstätte überhaupt und da geht es nicht darum Schritte zu sammeln, sondern Etagen zu sammeln. Und das ist einerseits für das Herz Kreislauf System sehr bedeutsam und zum Zweiten auch für die Muskulatur. Es gibt dann immer so QR Codes auf der jeweiligen Etage, die kann man da mit seinem Smartphone abscannen, bis dahin bin ich gelaufen. So ergibt sich für jeden ein individuelles Profil und zum Zweiten kann man Gruppen, ganze Unternehmen miteinander verbinden.

Seit vielen Jahren ist Ingo Froböse auch Sachverständiger des deutschen Bundestags zu Fragen der Prävention. Mit seinem von ihm entwickelten „Dreieck der Prävention“ charakterisiert er den Gedanken der Prävention auf seine Weise.

PROF. INGO FROBÖSE
Ja, wir kennen das ja klassisch, dass wir uns um das Verhalten von Menschen kümmern, das ist ja der Klassiker: Individual-Prävention, wo es also darum geht, zu versuchen, den Lebensstil der Menschen durch bestimmte Angebote zu verändern, indem man sie in Rückenkurse oder in ähnliche Dinge schickt. Dann gibt es natürlich das zweite V, die Verhältnisse. Das bedeutet also, dass man sich das Umfeld anschaut, in dem man lebt, arbeitet, also indem man auch seine Möglichkeit der Prävention realisieren könnte. Das schaut man sich an, verändert es häufig. Beispielsweise den Büroalltag, die Büroräumlichkeiten, oder sogar nur erst einmal den Stuhl, auch das wird ja häufig als Prävention definiert. Da fehlt mir aber etwas, weil wir eben erkannt haben, dass vielen Menschen das nicht ausreicht. Es ist dann nur ein Konsum, man bekommt einen Bürostuhl, oder man bekommt eine Maßnahme. Aber, was immer gefehlt hat, ist das Verständnis dieser Sache. Und dementsprechend ist für mich das dritte V das Verständnis. Das bedeutet also, dass wir dringend Kompetenzen entwickeln müssen von all jenen, die in die Prävention und für die Prävention sensibel gemacht werden müssen. Dementsprechend heißt für mich Prävention: Verhalten, Verhältnis und Verständnis. Männer müssen erkennen, dass auch sie das Handwerkszeug und das Rüstzeug haben, dagegen anzugehen. In der Prävention ist es eben wichtig, frühzeitig damit zu beginnen, Leistungsfähigkeit und damit auch Belastungsfähigkeit zu erhalten. Denn das Wichtigste ist doch, das, was man ja möchte, in hoher Lebensqualität das Leben später auch noch gestalten zu können. Und da muss man heute beginnen und das muss man einfach frühzeitig akzeptieren und nicht die weiße Fahne hissen, sowie die Männer es häufig tun und darauf warten: Okay, es wird schon alles gut gehen. Geht es eben nicht, wenn wir nicht selber dafür sorgen

Es gilt eine ganz persönliche Gesundheitsstrategie zu finden, zu entdecken, was einem gut tut, sich zu informieren und die zahlreichen Unterstützungsangebote zu nutzen.

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