Digitale Transformation im Betrieblichen Gesundheitsmanagement

Digitale Transformation wird häufig mit Digitalisierung gleichgesetzt, doch geht es dabei um mehr als die Verwendung digitaler Technologien wie Apps, Wearables, Online-Plattformen oder anderer Software-Tools. Stattdessen bezeichnet „Digitale Transformation“ einen Strukturwandel, in dem es gilt, bestehende Prozesse anzupassen oder durch effizientere Prozesse abzulösen. Eine Herausforderung, die in Unternehmen Unsicherheit auslösen kann. Das Bild eines datenfressenden Monsters, das permanent gefüttert werden muss und Ressourcen bindet, die an anderer Stelle gebraucht werden, schreckt so manches Unternehmen und hält davon ab, sich dieser Aufgabe anzunehmen. Doch Chancen und positive Effekte überwiegen. Im BGM bedeutet das mehr Effizienz und Wirksamkeitskontrolle mittels digitaler Analyse und KI gestützten Anwendungen. Wirtschaft und Gesundheit miteinander verbinden. Wie und mit welchen Mitteln und Methoden das gelingen kann, dazu haben wir Experten befragt und zeigen Beispiele aus der betrieblichen Praxis.

Digitales BGM - Ein Praxisbeispiel

Unser Praxisbeispiel mit dem Global Health Manager der Bayer AG Thorsten Uhle. Der Arbeits- und Organisationspsychologe und Autor des Standardwerkes „Betriebliches Gesundheitsmanagement: Gesundheitsförderung in der Arbeitswelt – Mitarbeiter einbinden, Prozesse gestalten, Erfolge messen“ gibt einen Ein- und Überblick, wie modernes BGM im Unternehmen effizient realisiert werden kann.

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Thorsten Uhle, Bayer AG, Health & Safety
Dass was wir diese Saison erlebt haben, ist unglaublich. Ein unglaubliches Geschenk, wo alle Kolleginnen und Kollegen weltweit bei Bayer tatsächlich mitgehen. Und es ist ein erarbeitetes Geschenk, wenn wir sehen, dass jedes Mal bei jedem Spiel tatsächlich Spitzenleistung von den Spielern auf den Rasen gebracht wird. Ein Coach am Spielfeldrand, der weiß, wie jeder Einzelne anzusprechen ist, aber auch, wie das gesamte Team zu dirigieren ist.
Das ist aus meiner Sicht wirklich ein ganz zentraler Eckstein, wenn es um betriebliches Gesundheitsmanagement geht. Im Team anfangen, das Ganze zu gestalten, sich regelmäßig die Zeit auch zu nehmen. Was brauchen wir, was zeichnet uns aus und was macht uns noch erfolgreicher. Und wenn man das in eine, ich nenne es mal Business Routine überführt, dann sind nicht nur die richtigen Garanten gesetzt für Gesundheit und Wohlbefinden, dann sind auch die Garanten gesetzt für Produktivität und Spaß an der Sache.

Bayer als großes global agierendes Unternehmen braucht ein BGM das alle einbindet. Für Thorsten Uhle, Global Health Manager bietet Fußball dazu ein gutes Vorbild.

Thorsten Uhle, Bayer AG, Health & Safety
Wir sprechen jetzt hier von hunderttausend Kolleginnen und Kollegen, die sich auf achtzig Länder verteilen. Wie können wir das gewährleisten? Und auch wir haben dann auf globaler Ebene eine zentrale Plattform aufgebaut, die nennt sich House of Health, weil mir diese Haus-Metapher gefiel. Gerade in Zeiten, wenn es stressig ist, kommt man nach Hause, macht die Tür hinter sich zu und fühlt sich geborgen, kann sich sammeln, kann vielleicht auch wieder neue Kraft tanken. Diese Metapher habe ich genutzt und habe dort mit meinen Kolleginnen und Kollegen aus den Regionen, also Fachexpertinnen und Experten, Kollegen von Communications und auch aus dem Bereich der Arbeitssicherheit, sehr schnell diese Plattform aufbauen können. Was wir über diese Plattform letztendlich bedienen und was ich immer versuche, ist tatsächlich auch nicht nur Informationen ins Unternehmen rein zu geben, sondern so etwas wie einen Dialog aufzubauen, einen globalen. Und das gelingt uns, weil wir eben neben dieser Plattform noch andere Kommunikationskanäle bedienen, wie beispielsweise Viva Engage. Das ist so etwas wie das Facebook, was wir alle von außerhalb kennen. So haben wir das auch im eigenen Unternehmen. Und dort gebe ich beispielsweise jede Woche Montag so ein kleines Health Nugget in die Organisation rein. Also eine kurze, fundierte Information mit einer offenen Fragestellung, wo dann sehr viele Antworten auch zurückkommen.
Und das führt dazu, dass wir, wenn ich so eine Information rein gebe, zum Teil fünfzehn bis zwanzigtausend Views haben und mehrere hundert Kommentare je nach Thema. Wenn wir zum Beispiel über emotionale Gesundheit sprechen, was das Ganze bedeutet, dann ist das ein Thema, was sehr viele Menschen interessiert. Und das sind zum Teil wirklich sehr persönliche Storys, die dann auch geteilt werden. Also dieser Dialog, der ist noch ausbaufähig, aber er funktioniert global.

Digitale Erreichbarkeit – bei Büroarbeitsplätzen funktioniert das in der Regel gut, doch oftmals bleiben bei digitalen Konzepten die Mitarbeiter in der Produktion außen vor, besonders betrifft das Mitarbeiter im Schichtbetrieb. Wie gelingt es sie einzubinden?

Thorsten Uhle, Bayer AG, Health & Safety
Das ist beispielsweise, dass Schichtübergabe-Zeiten genutzt werden, um gesundheits- oder auch arbeitssicherheitsrelevante Informationen zu geben. Wir haben vor einiger Zeit an mehreren Standorten in Deutschland mit unseren eigenen Bayer-Sportvereinen ein Programm entwickelt, wo man innerhalb von zwanzig Minuten, also einer sehr kurzen, komprimierten Zeit, in der Schichtübergabe etwas zum Thema Bewegung und Ernährung gemacht hat. Das wurde sehr gut angenommen. Denn wenn Sie einem Schichtmitarbeiter, der jetzt acht Stunden auch körperlich gearbeitet hat, der nach Hause möchte, dem kommen Sie nicht noch mit einer Stunde Angebot, bleibt noch ein bisschen länger im Betrieb und macht dann was. Das heißt, das muss tatsächlich auf die, auf das Setting, was wir dort im Betrieb haben, zugeschnitten sein und passend sein. Dann wird es tatsächlich angenommen. Also wenn wir das Setting berücksichtigen, das Ganze passend machen, dann haben wir gerade im betrieblichen Kontext recht hohe Beteiligungsquoten und auch, ich führe mit den Kolleginnen und Kollegen regelmäßig eine Gesundheitsbefragung durch, dort einen Response von zum Teil über achtzig Prozent.

Die Basis eines modernen Betrieblichen Gesundheitsmanagements sollten Kennzahlen und Datenanalysen sein. Mit der Nutzung von Dashboards können die Ergebnisse einzelner Maßnahmen transparent dargestellt und für Entscheidungsträger gut sichtbar gemacht werden. Das zeigt im Unternehmen Wirkung.

Thorsten Uhle, Bayer AG, Health & Safety – Global Occupational Health Manager
Ich muss nicht mehr lange an die Tür von Managern klopfen, um mit meinen Themen, um meine Themen dorthin legen, sondern ich werde angefragt. Das heißt also, die Bereitschaft, Angebote anzunehmen, ist deutlich mit der Corona-Zeit gestiegen. Warum erzähle ich das? Weil das Dashboard, was Sie im Hintergrund sehen, ist letztendlich auch inspiriert worden in der Corona Zeit, und zwar durch das Robert Koch Institut. Das heißt, Sie konnten mit Echtzeitdaten und Filtern spielen, was dort einen makabren Hintergrund hatte, wenn man es für sich übersetzt hat. Aber letztendlich etwas ist, wo wir, wo ich gesagt habe, das brauchen wir auch, wenn es um Gesundheitsmanagement geht, dass ich die Hypothesen, die ich im Kopf habe, mit ein, zwei Klicks durch eine neue Zusammenstellung der Daten, durch entsprechende dynamische Algorithmen, die wir auch mit in dem Dashboard haben, tatsächlich testen kann.
Wir haben dort auch die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung mit integriert. Das ist der blaue Bereich, wo hier Anforderung steht. Ich kann das einfach durch einen Klick öffnen und Sie sehen, das kennen Sie auch alles von der GDA. Das sind die Skalen, die Sie auch dort lesen. Und wir sehen sofort auf einen Blick, auch hier durch die Ampel-Kennzeichnung, da sind wir gut aufgestellt, da sind wir gelb, oder sind wir vielleicht sogar in einem roten Bereich.

Die Voraussetzung für eine systematische Bestandsaufnahme und Wirkungskontrolle im BGM sind zahlreiche und zuverlässig erhobene Daten.

Thorsten Uhle, Bayer AG, Health & Safety
Die Daten kommen aus einer Mitarbeiterbefragung. Wir haben das in Deutschland jetzt seit zwölf Jahren etabliert, dass wir alle drei Jahre eine recht umfangreiche Befragung machen, die eben diese Bereiche der Anforderungen abdeckt, wo wir berufliche und persönliche Ressourcen mit abfragen. Wir fragen auch wie sieht es aus mit dem persönlichen Befinden und Verhalten, da sind auch Gesundheitsparameter mit drin, wie werden die angebotenen Maßnahmen von den Beschäftigten auch wahrgenommen und akzeptiert, aus dem Bereich der arbeitsverhaltensbasierten Arbeitssicherheit und aus dem Bereich der Gesundheitsförderung.

BGM im Unternehmen um- und durchzusetzen braucht nicht nur Ressourcen, sondern besonders persönliches Engagement. Organisation ist dabei gefragt.

Thorsten Uhle, Bayer AG, Health & Safety
Wir haben Gesundheitskoordinatoren und Gesundheitsbeauftragte. Gesundheitsbeauftragte sind analog, was man kennt den Sicherheitsbeauftragten. Das ist eine eigene dreitägige Ausbildung, die wir konzipiert haben, wo sozusagen Kolleginnen und Kollegen für andere Kolleginnen und Kollegen zur Verfügung stehen, die lernen Gesprächstechniken in der Ausbildung. Wenn man das Gefühl hat, der Kollege fühlt sich nicht so gut, dann lernen die die richtigen Techniken, auf ihn oder auf sie zuzugehen. Und darüber haben wir noch die Gesundheitskoordinatorinnen und Koordinatoren. Die haben eine zehntägige Ausbildung bekommen, die deutlich akademischer ist von der Ausbildung. Also wie baue ich ein BGM-System auf? Was sind Steuerungsmöglichkeiten? Was wissen wir zum Beispiel auch aus der Organisationspsychologie und viele, viele andere Dinge mehr. Und die Koordinatoren betreuen einen größeren Verantwortungsbereich und haben regelmäßige Treffen und einen regelmäßigen Austausch mit dem Gesundheitsbeauftragten. Das sind die Hauptakteure, die damit arbeiten. Es gibt, und da sind wir gerade dabei, das auch auszubauen, immer mehr Führungskräfte auch, die sich dieses Themas annehmen. Das wollen wir ja auch, dass es wirklich Einzug in den Alltag, in den betrieblichen hält. Und die werden dann auch ausgebildet und können mit ihren eigenen Daten arbeiten.
Das was wir hier sehen ist tatsächlich ein BGM, so wie es konzipiert wurde für die Organisation, das heißt wir arbeiten auch hier mit Gruppendaten. Der nächste Schritt wäre jetzt, auf individueller Ebene auch Rückmeldung zu geben. Technisch ist das möglich, dass man also tatsächlich auch dem einzelnen Anwender, der Anwenderin hier auch ein Feedback geben könnte mit konkreten Hinweisen. Dieser Schritt muss allerdings vorbereitet werden, weil im Moment sieht das so aus, was ich sagte, wir arbeiten nur mit Gruppenergebnissen. Das ist das Beratungsergebnis, wo alle Beteiligten gesagt haben, damit sind auch die Datenschutzkriterien gewährleistet. Aber ich sehe tatsächlich noch mal einen deutlich größeren Wert, auch was die Akzeptanz von solchen Maßnahmen anbelangt, wenn wir es schaffen und es uns gelingt, auf die individuelle Ebene zu kommen.

Individualisierung ist der aktuelle Trend im BGM. Digitalisierung und innovative Anwendungen machen es möglich. Klärungs- und Handlungsbedarf gibt es noch in punkto Datenschutz. Betriebliches Gesundheitsmanagement ist ein ganzheitlicher Prozess, der strategisch in Unternehmensziele und -kultur eingebunden werden muss, damit alle davon profitieren.