In seinem Buch „Pandemie, was die Krise mit uns macht und was wir aus ihr machen.“ setzt sich der Psychiater und Neurowissenschaftler Professor Manfred Spitzer nicht nur mit der Corona Krise auseinander, sondern analysiert die Folgen von Krisen und versucht vor allem Orientierung für den Umgang mit Krisen zu geben.
Prof. Dr. med. Dr. phil. Manfred Spitzer
„Gerade was Corona betrifft so haben wir da relativ wenig Daten, weil die letzte ähnliche Krise war 1918, über Hundert Jahre her und damals gab’s kaum kaum empirische, psychologische Forschung wie es sie heute gibt.
Und deswegen kann man fragen: was wissen wir denn?
Und ein bisschen was wissen wir: es kann Krisen geben die dazu führen, gerade dann wen sie so eine numinöse unklare negative Bedeutung haben, das die Ängste auslösen und das dadurch die Menschen eher zusammenrücken. Beispiel „september eleven“, da waren nicht nur die zwei kaputten Hochhäuser, da war eben dann auch „Mensch wir haben eine ganz neue Gefahr; nämlich Terror und der ist allgegenwärtig, man weiß nicht wann er einen erwischt, wo er schwebt sozusagen über einem und das führt dazu, dass die Menschen mehr zusammen rücken. Umgekehrt ist es, wenn ein Hurrikan oder ein Tornado irgendwas kaputt macht und dann bin ich meinen Arbeitsplatz los und ich bin mein Haus los, also ich bin wirklich in einer Existenzkrise. Und wenn man in einer dauerhaften Existenzkrise ist, dann macht einem das Stress, denn man hat nicht die Kontrolle über sein Leben, die man normal hat. Deswegen ist wirklich beides passiert, weil Corona so ein bisschen was von Terror hat und ein bisschen was von einem Hurrikan mit Existenzbedrohung. Und weil es von beidem was hat, sind auch beide Konsequenzen die man kennt, von Menschen wie sie reagieren, eingetreten.“
Wie verhalten sich Menschen in Krisen, was kann bei deren Bewältigung helfen und welche psychologischen Ursachen und Hintergründe könnten dabei eine Rolle spielen.
Prof. Dr. med. Dr. phil. Manfred Spitzer
„Die Coronakrise hat im Grunde genommen gezeigt, dass es weniger um das Virus geht, natürlich geht es auch um das Virus, aber das Virus hat seine Eigenschaften, ist so und so infektiös und macht alle möglichen Erkrankungen und wie wir mittlerweile wissen nicht nur Lungenkrankheiten.Das ist aber das eine, das andere ist, wie reagieren wir auf das Virus und zwar sowohl auf das Virus als auch auf die Maßnahmen die wir ergreifen, um das Virus zu bekämpfen. Und das hängt schon sehr von uns ab. Als Psychiater kann ich sagen: es haben viele unter Corona gelitten, man sagt heute so, jeder Fünfte…, ich persönlich sage, es waren weniger, denn es gibt große Studien aus Deutschland und aus England die gezeigt haben, dass vor allem jüngere Menschen und eher Frauen unter Corona gelitten haben. Und die die man immer so verdächtigt, die älteren die doch auch so betroffen sind, gar nicht so sehr, weil die älteren Menschen wissen, wie man mit Problemen und auch mal mit Krisen umgeht, haben ihre Lebenserfahrung. Aber die Jungen haben die noch nicht und sind dann eher existenziell bedroht und eher nicht in der Lage von sich heraus richtig zu reagieren. Frauen wiederum definieren sich mehr durch ihre Gemeinschaft und wenn die Gemeinschaft gestört ist, eben weil man sich nicht mehr treffen darf, sind die viel stärker betroffen als Männer. Männer, die haben immer das Rollenmodell des einsamen Wolfs, die können sich in die Höhle zurückziehen und nach ein paar Wochen wieder rauskommen, das ist völlig in Ordnung. Da drauf kommt dann noch, wie ist jeder Einzelne gestimmt: sehe ich immer nur das Negative, oder bin ich auch in der Lage das Positive zu sehen. Jeder einzelne Mensch kann sich jetzt die Frage stellen: Corona, was kann ich jetzt nicht alles nicht mehr, das das das geht nicht mehr, oh wie furchtbar. Jeder Mensch könnte sich aber auch die Frage stellen: okay jetzt wird alles ein bissel runter gefahren, ich hab mehr Zeit, was kann ich denn mit dem mehr an Zeit jetzt für mich tun? Wer ein Projekt durchgezogen hat, während Corona, der hat es genau richtig gemacht. Sich selber ein Projekt suchen, eins herausgreifen was auch lösbar ist, in einer überschaubaren Zeit und das dann auch durchziehen, eine Superreaktion auf eine Krise. Genauso sollte man es machen. Und das haben viele in Deutschland glaube ich, intuitiv richtig gemacht.“
Auf eine Krise reagieren, das bedeutet auch sich mit dem Thema Angst auseinanderzusetzen…
Prof. Dr. med. Dr. phil. Manfred Spitzer
„Wenig Angst und viel Angst, beides ist nicht gut, ein mittleres Angstniveau ist sozusagen gesund und vernünftig. Im Coronafall gab’s tatsächlich beides. Es gab eben auch die, die trotz Corona Coronapartys gefeiert haben, die haben mir sehr viel Angst gemacht, weil sie selber gar keine hatten und damit andere gefährden. Gleichzeitig hatten wir auch die, die dann eben die soziale Isolation sehr ernst und sehr sozial genommen haben, sich ganz abgeschottet haben, vor Angst, weil jeder Mensch der potentielle Todbringer nun war, durch Ansteckung und die eben auch sehr stark unter diesen ganzen Sache gelitten haben und deswegen mehr Depressionen und mehr Angststörungen im Lauf der Coronakrise an den Tag gekommen sind.“
Wie lassen sich diese unterschiedlichen Strategien auf eine Bedrohung, die jeden betreffen kann, aus psychologischer Sicht erklären?
Prof. Dr. med. Dr. phil. Manfred Spitzer
„Man könnte ja sagen eigentlich müssten wir doch alle gleich sein, weil evolutionär überlebt der best angepasste und es gibt ja nur einen besten, warum sind wir nicht alle gleich gut und vor allem alle gut?
Die Antwort ist: die Umgebung ist nicht immer gleich.
Ganz simples Beispiel: nehmen Sie zwei Mäuse, die ist ängstlich und immer in ihrem Loch. Und die ist neugierig und guckt raus. Jetzt kann es sein, dass es regnet, ganz viel und da ersäuft die und die geht aus dem Loch raus und geht woanders hin, wo sie weiß, da ist ein Hügel, da muss ich nicht ersaufen. Kann aber auch sein, es regne nicht, Sonne scheint, da oben kreist der Mäusebussard. Die Neugierige ist dann weg und die im Loch ist noch da.
Ist also Neugierde gut , oder ist Ängstlichkeit gut? Was hängt vom Verhältnis von Regengüssen zu Mäusebussarden ab. Es ist beides gut, das eine ist in der Umgebung besser und das andere ist in der Umgebung besser. Und so lange es ängstliche und neugierige Mäuse gibt, gibt es immer noch ein paar die noch da sind und so lange es diese Gene für beides in der Population gibt, gibt es dann immer noch ein paar von den anderen, denn man braucht beide. Je nachdem wie man reagiert, deswegen gibt es ängstlichere Menschen und es gibt eher weniger ängstliche Menschen. Und man braucht tatsächlich beide.
Und nun sollte jeder ein bisschen wissen, wo er da selber auf dem Kontinuum ist, um eben auch zu wissen in welcher Richtung bin ich gefährdet. Gehöre ich eher zu denen die „Ja,ja alles ok“ und genau deswegen einen Unfall haben, weil sie sich eben nicht genug Mühe geben ein bisschen auf sich aufzupassen, oder gehöre ich eher zu denen die sowieso immer ängstlich sind und wenn dann noch was dazu kommt, so ängstlich, dass ich in meinen Möglichkeiten so eingeschränkt bin. Man sollte sich so gut kennenlernen, dass man das weiß, denn dann kann man mit Situationen, welcher Art auch immer, besser umgehen, um nicht genau dann, wenn es mal notwendig ist alles falsch zu machen.“
Eine Maßnahme um die Pandemie unter Kontrolle zu halten, ist die Forderung Abstand halten, Körperkontakte meiden – die möglichen Folgen soziale Isolation und Einsamkeit . Welche Auswirkungen hat das auf uns Menschen?
Prof. Dr. med. Dr. phil. Manfred Spitzer
„Also, zunächst einmal war diese geforderte soziale Distanz kein gutes Wort, denn was gefordert wurde, ist körperliche Distanz nicht soziale Distanz. Also, wenn ich mit jemanden ein Telefongespräch führe, bin ich dem sehr nahe, während des Telefonats, ich dem aber trotzdem körperlich weit weg und infiziere mich nicht. Und genau darum geht’s. Also, das wording war am Anfang ein Problem, später sprach man dann von körperlicher Distanz und darum ging es ja auch, aber der Schaden war schon mal da, weil die Leute gedacht haben, die Aufgabe wäre jetzt sich zu isolieren und abzuschotten gegen alle anderen Menschen und darum ging’s natürlich nicht.
Jeder weiß, das soziale Isolation etwas ist, das wir Menschen wirklich nicht gut vertragen, das schlimmste was es gibt ist Einzelhaft. Nur so als Beispiel!
Das spüren Menschen und deswegen ist es bei Menschen ganz prinzipiell so, dass Gemeinschaft Stress reduzierend wirkt und Einsamkeit chronischen Stress erhöht. Das ist einfach durch Stresshormonspiegel im Blut nachgewiesen, in einer ganzen Reihe von Untersuchungen. Chronischer Stress bringt uns um. Ob ich dann am Krebs oder am Herzinfarkt, oder Schlaganfall, oder an der Lungenentzündung sterbe, das ist dann sozusagen von irgendwelchen äußerlichen Faktoren oder meiner vorbestehenden Gesundheit abhängig. Aber das all diese negativen Effekte aufeinander kommen, einfach nur wegen Einsamkeit, weil ich mich eben einsam erlebe, das ist eines der wichtigsten Erkenntnisse aus den letzten zehn Jahren. Es ist tatsächlich vor 10 Jahren zu ersten Mal publiziert worden, dann vor vier/fünf Jahren nochmal und alle hat’s umgehauen: Einsamkeit ist der Killer Nr. 1! Und wenn der lockdown in Einsamkeit resultiert, was er nicht soll und auch nicht braucht, dann schadet er deutlich mehr als er nützt. Weil, nochmal: Einsamkeit ist wirklich der Killer Nr. 1! Nicht Bluthochdruck, nicht Alkohol, nicht Übergewicht, nicht Rauchen, sondern Einsamkeit. Und wenn man das weiß, dann weiß man auch wie wichtig es ist, dass wir richtig auf die Krise reagieren.“