BGM post Corona

Die Corona Pandemie hat bewirkt, dass das Bewusstsein für die eigene Gesundheit gestiegen ist. Das hat Konsequenzen für die gesamte Gesundheitspolitik und damit auch für das Betriebliche Gesundheitsmanagement.
Besonders der Bereich Prävention hat in der Arbeitswelt eine höhere Relevanz bekommen und das BGM wird künftig nicht nur an Bedeutung gewinnen, sondern noch deutlicher am Erfolg gemessen als bisher.
BGM auf dem Prüfstand: Wie und welche Kriterien hier angelegt werden sollten – dazu Analysen und Vorschläge für neue Konzepte.

Prof. Dr. Volker Nürnberg - Herausforderungen für das BGM post Corona

Eine aktuelle Problemanalyse kombiniert mit praktischen Lösungsvorschlägen für ein effektives BGM post Corona bietet hier einer der bekanntesten BGM Experten, Professor Volker Nürnberg.
© 2022

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Die Coronapandemie hat die Gesellschaft und besonders die Arbeitswelt nicht nur beeinflusst, sondern bereits vorhandene Veränderungsprozesse extrem beschleunigt. Welche Auswirkungen diese Entwicklung auch auf den gesamten Komplex des Betrieblichen Gesundheitsmanagements genommen hat, wurde auf dem BGM Kongress in Köln im Oktober 2021 mit Gesundheits- und BGM Experten diskutiert.
Einer dieser Experten ist Professor Volker Nürnberg, seit über 25 Jahren forscht und lehrt er auf dem Gebiet der betrieblichen Gesundheitspolitik, berät Unternehmen und Organisationen, ist Mitglied verschiedener Vereinigungen, so im Expertenbeirat des Preise für exzellentes Betriebliches Gesundheitsmanagement, dem „Health Award“ Sein Anliegen ist, das Bewusstsein für die Relevanz einer gesunden Unternehmenskultur zu schärfen. Und nach über zwei Jahren pandemiebedingter, vorwiegend virtueller Präsentationen, war es dem gefragten Autor und Referenten wichtig, auf diesem Kongress die Menschen endlich wieder direkt zu erreichen. In seinem Vortrag formuliert er aktuelle Fragen und Probleme und setzt Impulse für die Gestaltung eines zukunftsfähigen BGMs.

PROF. DR. VOLKER NÜRNBERG, Professor für Gesundheitsmanagement, Hochschule Allensbach
Probieren Sie neue Dinge aus, es gibt kein BGM von der Stange! In jedem Unternehmen ist das anders. Aber machen Sie individuelle Dinge, das zahlt ja ein auf Ihr Employer Branding. Und da ist jetzt post Corona, der richtige Moment, hier neue Wege im BGM zu gehen. Ich möchte das hier jetzt zusammenfassen mit meinen sieben I-Begriffen, wie ich es genannt habe. Wie muss das BGM nach Corona sein? Das erste habe ich mit Investiv beschrieben. Das war früher der sogenannte Return on Invest. Wenn ich zu einem Unternehmen kam und ich wollte BGM machen, dann stand da meist der Werks-Arzt da und dann standen noch 8 Controller da und die 8 Controller haben mich gefragt rechnet sich das, was Sie da machen im BGM? Im angelsächsischen Raum wird jetzt sehr oft gesprochen vom „Value of Invest“ und der geht viel weiter als der „Return on Invest“, da wird zum Beispiel eben auch gemessen, dass das BGM auf die Arbeitgeberattraktivität einzahlt. Und das ist glaube ich auch ganz wichtig, dass Sie den Begriff weiter fassen.

Weitere dieser sieben Schlüsselbegriffe die ein erfolgreiches BGM beinhalten und charakterisieren sollten sind: internetfähig, individuell, international, innovativ, integriert, interdisziplinär.

PROF. DR. VOLKER NÜRNBERG, Professor für Gesundheitsmanagement, Hochschule Allensbach
Das BGM muss integriert sein in den beruflichen Alltag, in den privaten Alltag und das Haupterfolgsrezept ist das BGM muss niedrigschwelliger werden. Die zentrale Herausforderung ist: vor Corona war es immer so, dass wir mit unserer Gesundheitsförderung die Gesunden noch gesünder gemacht haben. Und die, die es brauchen. Männer wie mich über fünfzig, ich kann das Risiko jetzt hier nicht verbergen, die erreichen sie nicht. Sie erreichen nur die Frauen in der Ernährungsberatung, die eh schon top gesundheitsbewusst sind. Und das ist die Herausforderung BGM, post Corona, die Sie lösen müssen und dazu müssen Sie interdisziplinär vorgehen, ich glaube, mit einem ganzheitlichen, mit einem nachhaltigen Ansatz ist das das Erfolgsrezept.

Interdisziplinär – das bedeutet auch stärker als bisher Ressort – und institutionsübergreifend zu arbeiten, gemeinsam Konzepte entwickeln, um den unterschiedlichen Bedürfnissen gerecht zu werden.

PROF. DR. VOLKER NÜRNBERG, Partner BDO
Ich sehe im BGM ein Querschnittthema, was eigentlich in allen Einheiten Niederklang finden muss, das heißt auch in einer Balanced Scorecard, die das ganze Unternehmen abbildet. Die Kennzahlen des BGMs sollten für jede Führungskraft Teil der der Ziele sein und dieses Querschnittsthema muss viel weiter ausgerollt werden, es ist naiv zu glauben, dass ein betrieblicher Gesundheitsmanager alleine den Krankenstand verändern wird, oder die Unfallstatistik etc. sondern das geht nur, wenn alle relevanten Stakeholder mit an einem Strang ziehen. Und deshalb muss Gesundheit, das muss die Erkenntnis der Pandemie sein, dass die Gesundheit der Mitarbeiter das höchste Gut ist und dass alle Führungskräfte, Mitarbeiter und Top-Management daran arbeiten müssen.
Wir müssen die vorhandenen Akteure, die Sozialversicherungsträger, Berater, Unternehmen vernetzen und sie müssen individuellere Angebote machen als früher, die dem Setting des Unternehmens gerecht werden, den individuellen Voraussetzungen, wir müssen schauen, wo sind die Bedarfe eines Unternehmens? Ist es Produktion? Ist es Büro? Ist es dezentral? Hat es Migration? All das sind Fragestellungen, die wir in unser Konzept mit einarbeiten können und deshalb können wir das nicht in einem vorgefertigten Standard-Vorgehensweise abbilden, sondern müssen dem jeweiligen Unternehmen gerecht werden und ein individuelles und nachhaltiges Konzept auflegen.
Es gibt durchaus Beispiele, wie die Sozialversicherungsträger miteinander zusammenarbeiten. Unfallkasse, Berufsgenossenschaft und Krankenkasse sind die relevanten Player, die wir brauchen, die ihre Daten zum Beispiel vorab in der Analysephase austauschen können, das ist ganz wichtig. Und die dann gemeinsame Angebote machen, wo sie jeweils ihre Stärken mit einbringen zum Wohle des Unternehmens.

Und bei dieser Analyse und den daraus in Zusammenarbeit zu entwickelten Angeboten sollten besonders die Bedürfnisse klein- und mittelständischer Unternehmen eine stärkere Berücksichtigung finden. Was wird hier konkret gebraucht?

PROF. DR. VOLKER NÜRNBERG, Partner BDO
Bei den Mittelständlern ist besonders wichtig, dass sie nicht die Ressourcen haben wie die Großunternehmen, das heißt, sie brauchen strategische Unterstützung. Sie brauchen aber auch Unterstützung im täglichen Doing durch Berater, durch die Sozialversicherungsträger. Und hier muss man einfach ein Projektdesign generieren, das die Unternehmen wirklich täglich unterstützt und nicht nur punktuell mit einzelnen Konzepten und das Ganze dann dem Ganzen dann auch eine Nachhaltigkeit gibt.

Nachhaltigkeit im BGM dafür steht zentral der Begriff Verhältnisprävention.

PROF. DR. VOLKER NÜRNBERG, Partner BDO
Das ist das zentrale Dilemma des BGMs, dass wir hauptsächlich Verhaltensprävention machen, also betriebliche Gesundheitsförderung. Rückenschule ist das Stichwort, Ernährungsberatung. Aber die viel größere Stellschraube ist die Verhältnisprävention. Wir müssen an der Unternehmenskultur arbeiten. Wir müssen an den Arbeitsbedingungen, an den Arbeitszeiten, an den Arbeitsmitteln arbeiten. Und das ist natürlich viel schwieriger. Das ist ein langfristiger Prozess und deshalb versuchen viele Unternehmen, quick and dirty erst mal mit verhaltenspräventiven Maßnahmen zu arbeiten. Hier brauchen wir aber einen Paradigmenwechsel. Wir müssen die Verhältnisse in den Fokus stellen, sie sind ausschlaggebend für das Wohlbefinden der Mitarbeiter, für den Krankenstand. Da sind die Führungskräfte eine Stellschraube, Arbeitszeitmodelle, Arbeitsplätze, Flexibilität das alles sind die Stellschrauben der Verhältnisse, an die wir ran müssen post Corona.

Post Corona haben sich neue Arbeitsmodelle entwickelt, bzw. deren Entwicklung wurde extrem beschleunigt. Stichworte sind Homeoffice, hybrides Arbeiten oder Co-Working. Damit diese Modelle gut funktionieren muss die Unternehmenskultur in diese Richtung entwickelt, das Umfeld angepasst werden.

PROF. DR. VOLKER NÜRNBERG, Partner BDO
Konkrete Lehren aus Corona sind: Wir haben gemerkt, 30 Prozent der Meetings, die wir früher hatten, sind überflüssig und von den restlichen 70 Prozent können wir 60 Prozent digital machen.
Wir müssen die virtuellen Meetings professionalisieren. Mit den virtuellen Meetings einhergehen Krankheitsarten oder Syndrome, die es vor zwei Jahren noch nicht gab. Hatten Sie vor zwei Jahren schon mal vom Zoom-Fatigue-Syndrom gehört? Der Ermüdung durch Videokonferenzen! Das sind neue Phänomene, denen wir uns stellen müssen.

Hier sind praktikable Konzepte gefragt. Und es gibt dazu bereits konkrete Ansätze. So hat das Fraunhofer Institut für Produktionstechnik und Automatisierung betriebsinterne Umfragen durchgeführt und aus den Ergebnissen ein übertragbares Konzept entwickelt.

PROF. DR. VOLKER NÜRNBERG, Professor für Gesundheitsmanagement, Hochschule Allensbach
Wir werden hybrides Arbeiten bekommen. Es wird weniger Kontrolle geben, mehr Vertrauen. Fehler sind besser als ihr Ruf, möchte ich Ihnen zurufen zu diesem Thema. Also die Arbeit wird sich verändern. 30 Prozent der Arbeitsplätze, die wir heute haben, wird es in zehn Jahren nicht mehr geben. Die Herausforderung wird sein, dass Sie Teambuilding machen müssen unter hybriden Arbeitsbedingungen. Das heißt, Sie müssen die Kreativität der Teams erhalten, obwohl nicht alle vor Ort sind und das ist ganz, ganz schwierig, weil 80 Prozent der Führungskräfte sind leider Führungskraft geworden wegen ihrer Fachkompetenz und nicht wegen ihrer Sozialkompetenz. Und das heißt umgekehrt: Wir haben nicht nur einen Fachkräftemangel, wir haben auch einen Machtkräftemangel. Uns fehlen Führungskräfte, die die Soft Skills haben, die wir in Zukunft brauchen. Umfragen zeigen, die größten Ängste der Mitarbeiter sind, dass ihre Leistungen im Homeoffice nicht anerkannt werden vom Vorgesetzten, weil er sieht ja nicht optisch, wie du arbeitest. Und dazu kommt noch, wie sich die Teams in Zukunft hybrid gestalten werden, das sind glaube ich die größten Herausforderungen des Homeoffice.
Es hängen eine Menge juristischer Fragen dran, die ich als Nichtjuristen nicht alle beantworten kann. Ich will sie nur kurz aufwerfen. Es hängen versicherungstechnische Gründe dran. Der Gesetzgeber hat da schon ein bisschen nachgebessert. Sind Sie versichert, wenn Sie Ihr Kind während der Arbeitszeit wegbringen? Was ist überhaupt die Arbeitszeit? Das Problem ist, dass die meisten Gesetze immer 20 Jahre hintendran sind. Das Arbeitszeitgesetz, das kennt Ausdrücke wie Handy, Erreichbarkeit oder so nicht. Und trotzdem steht im Arbeitszeitgesetz: Sie sollen 11 Stunden Ruhezeit haben. Und jetzt haben wir die ersten Fälle von Leuten, die immer abends am Smartphone noch E-Mails geschrieben haben. Jetzt sagen die Gesetzgeber, das Lesen einer E-Mail ist keine Unterbrechung der Ruhezeit, aber das Schreiben einer E-Mail. Muss nicht jeder verstehen, wie gesagt, ich bin auch kein Jurist.

So stehen eine ganze Reihe noch ungeklärter Fragen im Raum und das bedeutet auch zusätzlich weitere Unsicherheiten für Management und Führungskräfte. Inwieweit reichen die bisherigen Inhalte von Seminarangeboten für Führungskräfte zur Bewältigung der neuen Herausforderungen?

PROF. DR. VOLKER NÜRNBERG, Professor für Gesundheitsmanagement, Hochschule Allensbach
Es ist in der Tat so, dass wir Führungskräfte schon lange qualifizieren mit verschiedensten Seminarreihen und Instrumentarien. Aber ich glaube, die Herausforderungen der Post-Corona-Zeit sind doch ganz, ganz andere. Die Digitalisierung ist viel schneller vorangeschritten. Jetzt durch Corona gab es einen riesigen Push. Und dem sind die bisher herkömmlichen Schulungen eigentlich nicht gewachsen. Das heißt, wir müssen schauen, wie führe ich ein Team in Microsoft Teams oder bei ZOOM? Wie kann ich da Kommunikation und insbesondere auch Kreativität im Team erhalten? Und wie kann ich einen Mitarbeiter virtuell wertschätzen? Ich kann ihm nicht auf die Schulter klopfen, ich kann ihm nicht die Hand geben, weil er ist irgendwo anders als ich. Und die virtuelle Wertschätzung, die müsste zum Beispiel eine Dimension der Schulung von morgen sein, die wir so bisher herkömmlich nicht kennen.

Darin liegt auch das grundsätzliche Problem, welche Anforderungen an Führungskräfte gestellt werden sollten.

PROF. DR. VOLKER NÜRNBERG, Partner BDO
Das Problem im Betriebsalltag ist eben, dass wir Führungskräfte aufgrund ihrer Fachkompetenz rekrutieren und bestimmte Skills kann sich die Führungskraft dann später aneignen, Bestimmtes ist auch Learning by Doing bzw. Qualifizierung on the Job oder off the Job. Das ist alles möglich, aber bestimmte soziale Kompetenzen sind letztendlich zum Teil auch angeboren, bzw. können nicht zwingend erlernt werden. Und hier muss man an einen Mix finden, dass man Führungskräfte schon bei ihrer Auswahl auch reflektiert, inwieweit sie Kommunikationsfähigkeit haben, in wie weit sie Soft Skills haben, die man dann weiter ausbaut im Laufe ihrer Zeit als Führungskraft.
Die Wertschätzung dieser Soft-Skills ist noch ein bisschen ein Stiefmütterchen-Dasein, aber es wächst auf niedrigem Niveau. Ich habe aber die Hoffnung, dass uns diese Pandemie verdeutlicht hat, wie wichtig wir in der hybriden Arbeitswelt, wie sehr wir diese Kompetenzen brauchen. Und dann werden sie, glaube ich, auch an Bedeutung gewinnen.

Der Wandel zu einer modernen gesundheitsförderlichen Unternehmenskultur ist ein komplexer Prozess und manchmal ein langer Weg, Es lohnt sich ihn zu gehen und wir unterstützen Sie dabei.