Alle zwei Jahre findet sie in Stuttgart statt: die „Arbeitsschutz aktuell“, von Fachleuten oftmals liebevoll als „kleine A+A“ bezeichnet. In punkto Intensität und Ideenreichtum braucht sie den Vergleich mit der weltweit größten Arbeitsschutzmesse, der A+A in Düsseldorf, nicht zu scheuen. In diesem Jahr war ein ganzer Messetag dem Betrieblichen Gesundheitsmanagement gewidmet. Initiiert wurde dieser BGM-Thementag vom Heilbäderverband des Bundeslandes Baden-Württemberg, der mit seiner Initiative TOPfit! JOBfit? bereits seit einigen Jahren Unternehmen in der Gesundheitsförderung unterstützt.
FRITZ LINK, Präsident des Heilbäderverbandes Baden-Württemberg
Im Bäderland Nummer eins, das will ich an der Stelle natürlich auch unterstreichen, steht eben nicht nur die Kuration im Fokus, was üblicherweise mit Heilbädern und Kurorten verbunden wird, sondern zunehmend auch eben der Aspekt der Primärprävention, der für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in die Betriebe natürlich auch an erster Stelle steht.
Meine Damen und Herren, ich bin überzeugt, wir können es uns volkswirtschaftlich einfach nicht mehr leisten, die Zahl der krankheitsbedingten Frühverrentungen weiter zu steigern und wir können es uns auch nicht mehr leisten, Burnouts und andere zum Teil, ja beruflich bedingte Erkrankungsrisiken auf die leichte Schulter zu nehmen und sie eben nicht aktiv mit geeigneten Maßnahmen schon vor deren Ausbruch zu verhindern versuchen.
Statistische Auswertungen großer Krankenkassen wie der DAK Report 2024 belegen den Anstieg psychisch bedingter Erkrankungen als Ursachen von Arbeitsausfalltagen, und so stand folgerichtig das Thema psychische Gesundheit und Präventionsarbeit im Fokus. Für den ehemaligen Skispringer Sven Hannawald sind Aufklärungsarbeit und Prävention ein wichtiges Anliegen. So engagiert er sich als Gesundheitsbotschafter der AOK und im „Aktionsbündnis Seelische Gesundheit“. In einem Podiumsgespräch teilte er seine Erfahrungen und erzählte offen und authentisch von den Herausforderungen in seiner Karriere als Spitzensportler, seinem Zusammenbruch, der in einer Burnout-Diagnose mündete, und über seinen Weg, sich wieder in ein gesundes Leben zu kämpfen. Und er nimmt Bezug auf die aktuelle Situation in der Arbeitswelt.
Gespräch KLAUS-PETER BETZ / SVEN HANNAWALD
Was würden Sie zum Abschluss jetzt für die ganzen Zuhörerinnen und Zuhörer jetzt so als Tipps einfach mitgeben, wo Sie sagen, was ist eigentlich ganz entscheidend, was muss ich ändern und wie kann ich mich aus Alltagssituationen besser herausnehmen?
HANNAWALD
Wir als Menschen sind aus meiner Sicht klar für körperliche Grenzen geschaffen. Wenn wir Muskelkrämpfe haben, brauchen wir uns nicht einbilden, dass wir noch fünf Kilometer weiter joggen. Wir bleiben stehen, wir ruhen uns aus.
Wir müssen nicht mehr körperlich arbeiten, wir müssen keine Briefe mehr zur Post bringen, wir können alles irgendwo mobil überall machen und das ist aber auch der Grund, warum es uns so schwer fällt, einen klaren Cut zu setzen, wenn unser Gefühl sagt, es reicht für heute oder es reicht eigentlich, es ist uns zu viel. Früher sind wir alle Freitag nach Hause gefahren und waren bis Montag früh nicht erreichbar. Das heißt, wir sprechen von zwei vollen Tagen, die jeder Einzelne hatte, wo er raus war aus dem Ganzen. Natürlich weiß man jetzt nicht, was privat war, ob da vielleicht irgendwie noch Verantwortung war oder auch nicht, aber wir sprechen von zwei Tagen, die frei waren, wo man Luft kriegt. Was ist heute, wenn ich nach Hause fahre, bevor ich zur Haustür reingehe, schaue ich noch, welche wichtige E-Mail dabei ist, und die habe ich im Kopf.
Und da finde ich irgendwo Möglichkeiten nach dem Familienfrühstück am Samstag, nach dem Einkauf am Samstag, vielleicht auch in der Bundesliga-Pause. Ich finde übers Wochenende immer wieder zwei, drei Minuten Zeit, um mich wieder mit der Arbeit zu beschäftigen. Und das ist der Kreislauf, wo wir nicht mehr rauskommen. Und da muss man grundlegend sich für sich klare Grenzen setzen. Und das ist das Thema, was ich ja auch lernen musste, dass ich auch mir heute Inselzeiten setze. Also ich beschreibe es als Inselzeit, weil ich direkt, Insel freut sich jeder, will ja jeder hin, mit einem schönen Stuhl und Sonnencreme. Und die setze ich mir in gewissen Zeiten durch die Woche. Die sind aber nicht fix. Also mir tut zum Beispiel Sport nach wie vor gut, mir tut ein Spaziergang gut, die Familienzeit tut mir gut.
Eine Insel konnte man auch hier auf dem Thementag BGM finden. Auf acht Themeninseln geben BGM-Experten potentieller Kooperationspartner einen Überblick über ihre Unterstützungsangebote. Dabei geht es nicht nur um Leistungsspektren, sondern auch um spezifische Themen wie Unternehmenskultur und Führung oder Evaluation im BGM. Drei davon stellen wir vor.
DR. ALEXANDER GRAF, IHK Baden-Württemberg
„Wir haben hier so ein paar Leitfragen aufgestellt. Wenn man als Unternehmen so ins BGM einsteigt, da möchte man wissen am Anfang wo stehe ich eigentlich? Was mache ich denn so? Und da haben wir mit der Universität Freiburg eine Checkliste entwickelt. „Gesundheitsbewusster Betrieb.de“ heißt die, das ist so ein lockerer Fragebogen, den Sie für sich beantworten, Sie bekommen, während Sie den schon für sich ausfüllen, bekommen Sie schon Anregungen und Hinweise, was Sie in den einzelnen Schritten im BGM tun können.“
Mit ihrem Präsentationsthema „Praktische Tipps zur Umsetzung und Implementierung eines BGM im Unternehmen“ will die Industrie- und Handelskammer Baden-Württemberg besonders Klein- und mittelständische Unternehmen ansprechen.
DR. ALEXANDER GRAF, IHK Hochrhein-Bodensee
Wir haben auch ein BGM-Netzwerk, das ist unterschiedlich, nicht jede Kammer hat das, wir als Beispiel haben das. Das ist so ein Erfahrungsaustauschkreis. Das heißt, da sind fünfzig-sechzig Betriebe als Beispiel, und die treffen sich zweimal im Jahr und tauschen sich einfach aus, wo stehen wir im BGM, was sind die Herausforderungen, wo knabbern wir an welchen Problemen. Und da kann man auch dann in diesem Erfahrungskreis offen mal die Frage stellen, wer kann mir denn einen Tipp geben, wer kann mir helfen, wer hat das schon mal gehabt, wer kann mir auch einen positiven Lösungsvorschlag bieten?
„Die Kollegin hat’s vorhin so schön gesagt, der Apfelkorb ist immer schön, ist immer gut und der Yogakurs auch, schadet nie. Aber die Frage ist halt, hilft’s in meinem Betrieb tatsächlich weiter, um die Probleme anzugehen, die ich habe. Von da ist unser Ansatz schon der, dass man sich erst mal Gedanken macht, dass man sich mal anschaut, wie sieht es denn tatsächlich bei uns im Betrieb aus?“
„Ganzheitlicher Ansatz des Betrieblichen Gesundheitsmanagements“ – unter diese Überschrift stellten die BGM-Expertinnen des Arbeitgeberverbandes „Südwestmetall“ ihre Präsentation. Und im Hinblick auf spezifische Interessen ihrer Zielgruppe wird dem Thema Wirksamkeit und Evaluation eine besondere Bedeutung beigemessen.
PATRICIA SCHWEPPE, Südwestmetall, Verband der Metall- und Elektroindustrie Baden-Württemberg e.V.
Und da ist jetzt wirklich das Thema auch aus den Unternehmen, aus den kleinen, mittleren Unternehmen gekommen, zu sagen: könnt ihr uns da was an die Hand geben? Kennzahlen, Messbarkeit, wird ein großes Thema sein auf unserer nächsten BGM-Tagung in Aalen. Und da werden wir auf der einen Seite eben ein Best-Practice-Beispiel haben, welche Kennzahlen haben wir, was messen wir, was bringt es uns. Und auf der anderen Seite wird das auch wissenschaftlich begleitet, denn wir machen das Ganze in Kooperation mit der Hochschule in Ahlen. Wobei wir nicht sagen, wir wollen irgendwas aufoktroyieren, für uns ist es wichtiger, dass die Unternehmen sich untereinander vernetzen, dass der eine vielleicht sagen kann, Mensch, das hat bei mir funktioniert, mach doch mal dies, mach doch mal jenes und wir bieten einen Erfahrungsaustausch an.
„Unternehmenskultur und Führung sind die Schlüssel für die Betriebliche Gesundheit“, so fasste der Landesverband der AOK Baden-Württemberg die aus seiner Sicht wichtigsten Aspekte im BGM auf der Themeninsel zusammen.
„Wie konkret kann die Führungskraft Einfluss nehmen auf die Gesundheit, was für Ebenen kann man da ansprechen und das ist Inhalt dieser Seminarreihe zum gesundem Führen.
Gefühle sind ansteckend, wenn ich als Führungskraft gut drauf bin, wenn‘s mir selber auch gut geht, kann ich dieses gute Gefühl in mein Team rein tragen und wir haben ein gutes Gefühl. Und insofern ist dieses Modul eins, auch in der Haltung zu schaffen, ein wichtiger Punkt.
Ob Seminarreihen, Netzwerke oder Onlineveranstaltungen, die AOK bietet zu den einzelnen Handlungsfeldern im BGM eine Vielfalt an Unterstützungsangeboten.
CHRISTIAN KONRAD, AOK Baden-Württemberg
Die AOK Baden-Württemberg hat Berater, BGF-Beraterinnen und Berater in ganz Baden-Württemberg. Wir sind vor Ort bei den Unternehmen. Unsere Strategie ist eine sehr regional orientierte Strategie, wir holen die Partner vor Ort zusammen. Das sind dann eben vor Ort Arbeitgebervertretungen, das sind eben auch einzelne Akteure zu den unterschiedlichen Handlungsfeldern. Wir arbeiten beispielsweise dann auch mit den Kommunen zusammen und führen dort eben Veranstaltungen, eben auch durch Netzwerkveranstaltungen. Auch das ist breit aufgesetzt, entweder sind es Einzelveranstaltungen, einmal im Jahr, um das Thema anzusprechen, zu sensibilisieren und dann eben individuell weiter zu machen, oder aber auch, es sind regelmäßige Netzwerke, die arbeiten, die sich ein Thema weiter entwickeln.
Kräfte bündeln und auf diese Weise die vorhandenen Ressourcen optimal nutzen. Wie gut das auf regionaler Ebene funktioniert, das hat sich auf dieser Veranstaltung gezeigt. Ein Grund mehr, auf Netzwerkbildung zu setzen, bereits vorhandene Netzwerke zu nutzen und die Zusammenarbeit der im Gesundheitsbereich agierenden Akteure, Verbände, Organisationen, Versicherungen und Berufsgenossenschaften weiter auszubauen.