Nachhaltigkeit & BGM

CSRD, ESRS, CSR, CSRG und SDG sind einige bis dato wenig bekannte Kürzel, die im Rahmen der EU-Nachhaltigkeitsberichterstattung benutzt werden. Diese neue Pflicht für Unternehmen tritt in Deutschland schrittweise in Kraft. Auch wenn Nachhaltigkeitsstrategien für die meisten großen Unternehmen mittlerweile zur täglichen Praxis gehören, stehen sie vor der Herausforderung, sie an jeweils neue Entwicklungen anzupassen. Laut EU soll „der bürokratische Aufwand für die Unternehmen dabei auf das absolut erforderliche Mindestmaß begrenzt werden.“ Doch seitens der Behörde liegt noch keine Standardisierung der Berichtspflichten vor, was zu Unsicherheiten bei der Umsetzung führen kann. Zudem verfügen viele Unternehmen möglicherweise nicht über die nötigen Ressourcen und das Fachwissen, um die Anforderungen optimal zu erfüllen. Besonders kann das kleine und mittlere Unternehmen betreffen, denn auch wenn es für diese Betriebe noch keine Pflicht zur Berichterstattung gibt, wird ihnen aus vielerlei Gründen empfohlen, sich mit dieser Thematik zu beschäftigen. Abgesehen von moralischen Beweggründen bietet die Entwicklung nachhaltiger Geschäftsmodelle klare Wettbewerbsvorteile, denn immer häufiger erwarten Kunden, öffentliche Auftraggeber, Banken und Investoren Informationen in Bezug auf Nachhaltigkeit. Dabei wird in vielen mittelständischen Unternehmen bereits seit langem nachhaltig agiert, ohne dass es explizit so bezeichnet wird. Das trifft besonders auf Aktivitäten und Komponenten des Betrieblichen Gesundheitsmanagements zu.

Vortrag Kurt Gläser auf der 13. BGM Tagung des Arbeitgeberverbandes Südwestmetall (Auszüge)

„BGM ist per se nachhaltig“, findet der BGM Experte und Mitbegründer des Bundesverbandes Betriebliches Gesundheitsmanagement Kurt Gläser. In seinem Vortrag „BGM und Nachhaltigkeit als integrierte Wertschöpfungskette“ begründet er diese These und zeigt auf, welche Komponenten des BGM mit Nachhaltigkeitszielen übereinstimmen und so für die EU Nachhaltigkeitsberichterstattung genutzt werden können.

16:9

Für den BGM-Berater und Mitbegründer des Verbandes BBGM, Kurt Gläser, ist das Thema Nachhaltigkeit zum zentralen Thema geworden. Die per EU-Gesetzgebung geforderte Nachhaltigkeitsberichterstattung für Unternehmen hat ihn bewogen, sich intensiver mit dieser komplexen Thematik auseinanderzusetzen, um BGM-Akteure in den Unternehmen bei dieser Aufgabe zu unterstützen.

KURT GLÄSER, Experte BGM@Nachhaltigkeit
Ich behaupte einfach mal, BGM ist per se nachhaltig und es muss erstmal jemand kommen, der mir das Gegenteil beweist. Es sind mal fünf ausgewählte Handlungsfelder, man kann auch andere noch hinzufügen. Was hat denn der Arbeitsschutz für ein Ziel?

Der Arbeitsschutz soll doch unter anderem auch betriebliche Prozesse stabilisieren. Jeder Arbeitsunfall ist eine Störung eines betrieblichen Prozesses. Das heißt, das Ziel des Arbeitsschutzes ist immer, diese Business Continuity Management, also Geschäftsprozesse, aufrechtzuerhalten.

Nachhaltiger Ansatz. Das Paradebeispiel für mich ist das betriebliche Eingliederungsmanagement. Da steht schon im Gesetzestext drin, BEM soll Arbeitsunfähigkeit überwinden, erneuter Arbeitsunfähigkeit vorbeugen, Arbeitsplätze sichern.

Also nachhaltiger geht es eigentlich nicht. In der betrieblichen Gesundheitsförderung wollen wir Verhaltensänderungen erzielen und zwar nicht nur mittlerweile gesundheitsförderliche Verhaltensänderungen, sondern eben auch ökologisch sensible. Also Thema Mobilität und Ernährung, das sind dann diese sogenannten Co-Benefits.

Und kann gesundheitsgerechtes Führen mit Nachhaltigkeit in Verbindung gebracht werden? Meiner Meinung nach ja, wenn es gelingt, in die Führungsprinzipien, ins Führungshandeln die Prinzipien der Salatogenese einzubinden. Salatogenese, da geht es um Verstehbarkeit, Handhabbarkeit und Sinnhaftigkeit von Arbeit. Und wenn Führung sich so an Prinzipien orientiert, dann wird auch Führung nachhaltig.

EU Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD) was bedeutet das konkret?

Es gibt Berichtsstandards zur Nachhaltigkeitsberichterstattung. Das sind so Berichtsrahmen, die gibt es global oder auf EU-Ebene oder Deutschland, Deutscher Nachhaltigkeitskodex.

Wenn man sich die mal anschaut, dann findet man Bezüge zum Thema Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit. Also zu unserem Thema. Ich habe jetzt auf der ersten Folie den Teilstandard 403 der Global Reporting Initiative, abgekürzt GRI oder GRI.

Und wenn Sie da mal diesen Teilstandard, wo es um unsere Themen geht, wenn Sie da einfach mal kurz drüber scannen und gucken, was wird da gefordert, zu was muss ich denn berichten, wenn ich mich an diesem Standard orientiere, dann finden Sie ganz viele Themen, die bei uns, die unser Tagesgeschäft sind. Dann gehe ich mal weiter zu der schon angekündigten CSRD, Corporate Sustainability Reporting Directive, also eine Vorgabe auf EU-Ebene, die in der letzten Zeit einiges an Federn hat lassen müssen, die eingedampft wurde, was auch grundsätzlich ganz gut ist, weil es sich schon auch um Bürokratiemonster handelt. Aber auch dieser Standard, der für Unternehmen gilt, künftig ab 1.000 Beschäftigte, also nicht ab 250, wie der beinhaltet, eben auch solche Punkte, wo wir als BGMler unmittelbar anschlussfähig sind. Es gibt ja so einen Teilstandard Soziales zum Thema eigene Belegschaft, also Arbeitskräfte des Unternehmens. Und wenn Sie hier die Punkte mal anschauen, zu denen berichtet werden muss, dann finden Sie auch ganz viele Schnittmengen. Da geht es auch um Übergriffe, um Vereinbarkeit Privatleben und Beruf. Also schon einiges, wo wir uns einbringen können und eigentlich auch müssen.

Nachhaltigkeitsziele im Arbeits-und Gesundheitsschutz

Die nächste Perspektive, die Sustainable Development Goals. Also die meisten Unternehmen, die zum Thema Nachhaltigkeit berichten, die haben auch die Sustainable Development Goals auf dem Schirm und schreiben hier, was sie zu diesen Zielen beitragen.

Vor allem die öffentliche Verwaltung, die von dieser allgemeinen Berichtspflicht ausgenommen ist, die orientiert sich gerne an den SDGs. Hier möchte ich mal drei rausgreifen, exemplarisch, und die Verbindung zum Thema BGM oder Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit herstellen. Es gibt das SDG 13, Maßnahmen zum Klimaschutz.

Das heißt in der Langversion Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels und seine Auswirkungen ergreifen, also Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels und Maßnahmen zur Bekämpfung der Auswirkungen des Klimawandels. Das heißt, wir haben zwei Perspektiven, outside in und inside out. Und das, was von außen reinkommt, Sommerhitze, UV-Strahlung, Allergien, Ausbreitung von Vektoren, von Zecken und so weiter, das muss die Gefährdungsbeurteilung auf dem Schirm haben.

Also in der heutigen Zeit soll es keine Gefährdungsbeurteilung mehr geben, die nicht die Auswirkungen des Klimawandels auf dem Schirm hat und entsprechende Maßnahmen nach dem Stopp-Prinzip des Arbeitsschutzes ableitet. Wenn man in die Unterziele schaut, also wir haben 17 Oberziele, aber 169 Unterziele, die manchmal um einiges mehr hergeben, dann finden wir zum Beispiel so ein Unterziel 4a. Da geht es unter anderem um sichere und gewaltfreie Lernumgebungen.

So, und wie kann ich eine sichere und gewaltfreie Lernumgebung überhaupt erreichen? Das heißt, ich muss alles, was der Arbeitsschutz hergibt, vollumfänglich berücksichtigen. Arbeitsstättenverordnung, Betreiberverantwortung, Betriebssicherheitsverordnung und sonstige Grundlagen des Arbeitsschutzes. Wenn die nicht beachtet werden, dann werde ich keine sichere und gewaltfreie Lernumgebung erzielen können. Also unmittelbar anschlussfähig.

Die Wesentlichkeitsanalyse – Ein zentraler Punkt der Berichterstattung

Zum Schluss zwei Aspekte. Einmal, es gibt die Wesentlichkeitsanalyse. Den Begriff haben Sie vielleicht noch nicht gehört. Im Bereich der Nachhaltigkeitsberichterstattung ist es ein Pflichtmodul. Die doppelte Wesentlichkeitsanalyse, wo eben auch diese beiden Perspektiven inside-out outside-in betrachtet werden müssen. Also Unternehmen, die berichtspflichtig sind nach der CSAD, die müssen so eine Wesentlichkeitsanalyse durchführen. Die müssen schauen, dass sie von außen auf uns ein.

Was bringt finanzielle Risiken mit sich? Also es geht im Wesentlichen um Risikomanagement, aber auch das, wie wirkt unser Unternehmen nach extern auf die Umwelt. Ganz spannend, weil im Ergebnis stehen dann solche Wesentlichkeitsmatrizen.

Hier sehen Sie ein Beispiel von Mercedes-Benz, Nachhaltigkeitsbericht 2022. Und das, was rot eingekreist ist, ist unser Thema. Und das steht relativ weit rechts oben. Je weiter rechts oben das Thema steht, desto wesentlicher, desto wichtiger ist es für das Unternehmen. Und das hat sich dann niemand im stillen Kämmerchen ausgedacht, sondern das Ergebnis von umfangreichen Stakeholder-Prozessen.

Resümee

BGM ist systemrelevant für Nachhaltigkeitsziele, denn diese Ziele lassen sich nur erreichen, wenn die Menschen Beiträge einbringen können. Dazu müssen sie arbeitsfähig sein. Dazu tragen wir bei. Also kein Windkraftwerk, keine Photovoltaikanlage, die fällt vom Himmel oder kommt aus dem 3D-Drucker. Es braucht immer die Menschen, die das Ganze auf die Beine stellen. Und wir arbeiten an der Arbeitsfähigkeit, an der Arbeitgeberattraktivität und damit eben auch an den Nachhaltigkeitszielen. Möglicherweise kennen Sie das Haus der Arbeitsfähigkeit, das mit vier Ebenen funktioniert.

Ein etabliertes Modell im BGM von Professor Ilmarinen aus Finnland hat schon ein paar Jahre auf dem Buckel. Häuser müssen irgendwann mal renoviert werden, saniert werden und warum nicht die Gelegenheit nutzen, um dieses anerkannte Haus der Arbeitsfähigkeit zu transformieren in ein Haus der Arbeits-, Nachhaltigkeits- und Klimafähigkeit. Auf allen vier Ebenen dieses Hauses kann man die Themen Nachhaltigkeit und Klima mit einbauen.

Das wäre so ein Schritt in die nächste Richtung, in die nächste Dimension, Nachhaltigkeit und BGM nicht nur als Maßnahmenebene mit Co-Benefits zu verbinden, sondern auf der Zielebene und auf der Modellebene.