A+A Kongress 2023 – Impulse für eine neue Arbeitswelt

unter diesem Motto stand der 38. internationale A+A Kongress, organisiert von der Bundesarbeitsgemeinschaft für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit (Basi). Digitalisierung, der Einsatz von Künstlicher Intelligenz und nachhaltige Strategien im Arbeitsschutz waren einige der Schwerpunktthemen. In Foren, Veranstaltungen und auf Workshops wurden erfolgreiche Anwendungsbeispiele aus der Praxis des Arbeits- und Gesundheitsschutzes vorgestellt. So zentrale für den Gesundheitsschutz wichtige Themen wie Gesundheit und Psyche, Einwirkungen am Arbeitsplatz oder Management und Führung wurden diskutiert. Praktiker trafen auf Experten. Welche Bedeutung und Rolle Führung und Führungskräfte im Arbeits- und Gesundheitsschutz haben, war Gegenstand einer Veranstaltung der BG RCI.

Mitarbeiterführung - Und was ist mit der Führungskraft?

Gesundheitsgerechte Führung – ein Ziel mit hohem Anspruch und dem immer gerecht zu werden, ist oftmals ein Balanceakt. Wie es gelingen kann, dazu die Arbeitspsychologin Esin Taskan, die dabei sowohl aus eigenen Erfahrungen als Führungskraft, besonders aber auch aus ihrer Beratungsarbeit mit Betrieben schöpfen kann.

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Sicherheit und Gesundheit in Unternehmen werden entscheidend durch die Qualität der Führung geprägt. Doch Führungskräfte, besonders auf mittleren Hierarchieebenen verorten sich häufig in eine Sandwichposition. Ein nicht besonders komfortabler Platz und den sollte man nicht ein- oder annehmen, findet die Arbeitspsychologin Esin Taskan, die auch Betriebe berät.

DR. MONA RYNEK, Arbeitspsychologin, BG RCI
Sie selbst ist auch Führungskraft. Und mit ihr möchte ich darüber sprechen, warum es wichtig ist, dass Führungskräfte auf ihre eigene Gesundheit und Sicherheit achtgeben sollten. Also dass man wirklich auch mal auf sich selbst achtet und nicht immer nur um seine Mitarbeiter sich kümmert. Warum das aber manchmal auch sehr, sehr schwer fällt.

ESIN TASKAN, Leiterin Präventionsabteilung, Gesundheit-Medizin-Psychologie, BG RCI
Es gibt viele Antreiber und Motive oder auch Grundannahmen, Glaubenssätze über uns selbst, die dazu führen können, dass wir in bestimmten Situationen uns nicht für die Sicherheit und Gesundheit entscheiden und das manchmal auch gar nicht merken. Sie sehen hier eine Auflistung von verschiedenen Antreibern, es kann auch mal Macht sein, Lob, Anerkennung. Wir haben verschiedene Wünsche, also sei es jetzt, man möchte Anerkennung bekommen dafür, dass man viel schafft. Man findet es toll, wenn andere sagen: Boah, wie machst Du das, Du machst so viel. Das gibt einem natürlich so eine gewisse Genugtuung. Dann auch möchte man ja als Führungskraft stark sein und die Dinge alleine schaffen, vergisst dann aber vielleicht rechtzeitig die Hilfe zu holen, die man holen müsste und als Führungskraft müsste man ja eigentlich auch wissen, wann Hilfe zu holen wäre. Also man sieht diese ganzen Antreiber versperren uns eine nüchterne Sicht auf Situationen, wodurch wir dann eben die Sicherheit und Gesundheit vernachlässigen und das ist unser Dilemma. Also wir merken es manchmal gar nicht.

DR. MONA RYNEK, Arbeitspsychologin, BG RCI
Auf mich selbst irgendwie zu achten, dann ist ja immer ein wichtiger Punkt auch, dass ich selbst überhaupt ja natürlich sensibel bin und erkenne, dass es gewisse Überlastungssignale vielleicht gibt. Kannst Du uns Beispiele geben oder auch von Dir vielleicht berichten? Woran erkenne ich denn so Überlastungssignale?

ESIN TASKAN, Leiterin Präventionsabteilung, Gesundheit-Medizin-Psychologie, BG RCI
Also Zeichen gibt es viele. Also denken Sie daran, wenn man als Führungskraft nicht erreichbar ist, nicht ansprechbar ist, sich von einer Deadline zur nächsten hangelt, gereizt reagiert in bestimmten Situationen, Kolleginnen und Kollegen vielleicht auch schlecht behandelt, ohne es wirklich zu bemerken. Das können auch körperliche Symptome sein, dass man Kopfschmerzen bekommt, Rückenschmerzen bekommt und man merkt, dass es mit dem Stress zusammenhängt, den man auch vielleicht bei der Arbeit hat. Im Grunde genommen ist es so, es gibt viele, viele Zeichen, aber wir sehen den Handlungsbedarf nicht rechtzeitig.
Wieso kommen wir in diese Dilemmata? Weil wir die langfristigen Folgen unseres Verhaltens nicht einschätzen können. Wir denken, das ist ein Normalzustand. Als Führungskraft muss es so sein, muss ich viel zu tun haben und deswegen vernachlässigen wir die Sicherheit und Gesundheit. Und deswegen wäre auch mein Appell an die Führungskräfte hier: Schauen Sie, dass Sie diese Rückmeldungen aus Ihrem Umfeld ernst nehmen. Egal auf welcher Ebene, sei es im beruflichen Kontext, im privaten oder aber auf welcher Hierarchieebene. Mich hatte vor kurzem meine Assistentin darauf hingewiesen, dass ich sehr gereizt bin, und das war eine große Hilfe. Sie müssen das immer ernst nehmen, wenn Sie Feedback in der Richtung bekommen.

DR. MONA RYNEK, Arbeitspsychologin, BG RCI
Du hast uns jetzt schon mal Einblicke gegeben, woran wir erkennen können, dass wir überlastet sind, uns auch einmal dazu aufgerufen, diese Grundannahmen zu hinterfragen und auch sensibel zu sein für Feedback.
Was können wir denn jetzt konkret vielleicht auch tun? Also wie kann diese Selbstfürsorge denn gelingen? Also was können wir vielleicht auch an ganz einfachen Kleinigkeiten in unserem Arbeitsalltag tun?

ESIN TASKAN, Leiterin Präventionsabteilung, Gesundheit-Medizin-Psychologie, BG RCI
Es sind eher die kleinen Dinge, die Sie im Laufe eines Tages integrieren. Dass man eben Routinen hat, wo man mal sich um sich selbst kümmert und dass kann sein, dass man eben nach einer langen Videokonferenz ganz bewusst mal rausschaut, den Blick in die Ferne richtet, dass man einmal am Tag einen Spaziergang macht, wo man mal so ein bisschen runterfahren kann, oder auch Pausen macht. Und wichtig ist bei diesen Dingen immer auch, dass man in der Lage ist, für sich selbst eine Metaebene einzunehmen. Wenn jetzt der eigene Chef nicht kommt und sagt: „Wie geht es Ihnen denn? Sie sehen gestresst aus“, dann machen Sie das doch mal mit sich selbst, nehmen Sie die Metaebene ein. Seien Sie mal Ihr eigener Chef und schauen Sie auf sich, als wären Sie die Mitarbeiterin, die Beschäftigte und überlegen Sie sich, was könnte ich denn, was könnte man dann an der Situation verbessern? Dass man vielleicht guckt, wie könnte man die hohe Arbeitsintensität verringern, ob man doch Hilfe benötigt, vielleicht mehr Ressourcen irgendwie versucht zu bekommen, im Betrieb, die Arbeitsorganisation noch mal neu denkt.

DR. MONA RYNEK, Arbeitspsychologin, BG RCI
Würdest Du sagen, dass es wichtig ist, sich mit der eigenen Führungsrolle auch dahingehend auseinanderzusetzen, was ich für einen Einfluss auf meine Beschäftigten habe? Also ich als Führungskraft habe ja bestimmte Entscheidungsspielräume, ich habe einen gewissen Handlungsspielraum, damit habe ich natürlich auch Einflussmöglichkeiten.

ESIN TASKAN, Leiterin Präventionsabteilung, Gesundheit-Medizin-Psychologie, BG RCI
Richtig. Und ich glaube, die sind uns als Führungskraft auch nicht immer so hundert Prozent bewusst. Wir merken das erst im Nachgang. Ich gebe Ihnen mal ein Beispiel: Von einer Sekretärin, die ein Langzeit-EKG verordnet bekam von ihrem Arzt und man wollte sehen, wieso sie einen hohen Blutdruck hat. Und dieses Langzeit-EKG zeigte dann, dass sie auf dem Weg zur Arbeit der Blutdruck stieg und auf dem Weg zurück ging er wieder runter, von der Arbeit nach Hause. Das heißt also, diese Dame hatte eben einen Blutdruck, das war durchaus psychosomatisch bedingt, dieser hohe Blutdruck und hing damit zusammen, dass sie einen cholerischen Chef hatte. Also da müsste man sich jetzt auch überlegen, was wäre da die richtige Präventionsmaßnahme gewesen. Aber Sie sehen daran, dass der Chef da natürlich einen großen Einfluss auf die Gesundheit dieser Sekretärin hatte und das heißt, wir müssen so ein bisschen uns auch reflektieren in dem, wie weit wir Einfluss haben. Insofern ist Führungskraft sein immer auch Beziehungsarbeit und genau diese Beziehungsarbeit leisten Sie eigentlich nicht nur gegenüber ihren Beschäftigten, sondern auch gegenüber ihren nächsthöheren Vorgesetzten.
Sie müssen als Führungskraft schauen, wo Sie sich gemeinsam für sich und Ihr Team Handlungs- und Gestaltungsspielräume schaffen können.
Und das wissen Sie besser. Sie haben mehr Handlungs- und Gestaltungsspielraum als Führungskraft im Vergleich zu Ihren Beschäftigten. Und das müssen Sie nutzen in beide Richtungen. Und das sehen Sie hier auch in diesem schönen Bild. Auf der einen Seite die Beschäftigten, auf der anderen die Führungskraft und Sie als Führungskraft dazwischen, keine Sandwich Position. Am besten ist es, Sie nehmen eine Metaebene ein und versuchen von hinten noch mal zu überlegen: Was braucht es denn? Was brauchen die Beschäftigten? Wie kommuniziere ich das meinem Chef. Das ist eine Herausforderung, das ist auch Führung, einen Weg finden, das auszubalancieren und entsprechend auch zu gestalten. Aber als Führungskraft, das ist das Schöne, haben Sie diese Gestaltungsmöglichkeiten.

Aussagen von Teilnehmenden
Also es ist so aus dem Leben, es ist wirklich so dargestellt, nicht beschönigt oder so, sondern so wie es tatsächlich ist. die Situationen kennen wir halt alle.

Die ganze Verantwortung auf der Arbeit und dann selber, mit sich selber, diese Selbstführung, dass man mit sich selber im Reinen ist, würde ich mal so sagen, das man da auch die Ruhe und Gelassenheit besitzt, mit den Situationen so umzugehen, das es die Mitarbeiter dann nicht negativ oder aggressiv von meiner Seite auffassen.

Ich denke, die Führungskräfte sind einfach unterschiedlich. Manche nehmen die Aufgabe sehr ernst, wissen aber nicht so recht, wie sie es anfangen sollen. Andere sagen: Na ja, meine Mitarbeiter, die sind alle erwachsen, müssen das selber machen. Also da gibt es schon ein ganz breites Spektrum. Und die Führungskräfte, ich sag mal, so weit zu Coachen, dass sie eigentlich selbstständig sind und die Materialien auch gut nutzen können, das ist schon eine Aufgabe.

Informationen und Medien zum Thema Führung finden Sie auf der Website der BG RCI

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